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Geringverdiener : "Mindestlohn führt zu Arbeitsplatzverlusten"

 caotroy 2014-06-05
08:29

Geringverdiener

"Mindestlohn führt zu Arbeitsplatzverlusten"

Mit dem Mindestlohn kommt auch die Arbeitslosigkeit. Das erwartet Wirtschaftsprofessor David Neumark. Von den Versprechen der Politik h?lt der 54-J?hrige nichts und erkl?rt lieber die Konsequenzen. Von Tina Kaiser, New York


David Neumark erwartet 800.000 bis 900.000 Arbeitslose durch den neuen Mindestlohn in den USA
Foto: Center for Economics & Public Policy David Neumark erwartet 800.000 bis 900.000 Arbeitslose durch den neuen Mindestlohn in den USA

Der Mindestlohn bringt nicht allen Menschen immer nur Vorteile. Diese These vertritt Wirtschaftsprofessor David Neumark von der Universit?t Kalifornien in Irvine seit vielen Jahren. Auch ein Buch ver?ffentlichte der 54-J?hrige zu dem Thema bereits. Er glaubt, dass der Durchschnittsbürger das Thema nicht versteht und die Risiken des Mindestlohns nicht beachtet.

Die Welt: Die deutsche Regierung will einen Mindestlohn von 8,50 Euro einführen. Sollten sich Geringverdiener darüber freuen oder es eher mit der Angst zu tun bekommen?

David Neumark: Sowohl als auch. Die meisten Angestellten im Niedriglohnsektor werden vermutlich durch den Mindestlohn ein wenig mehr verdienen. Aber man muss sich darüber im Klaren sein, dass der Mindestlohn nicht nur Gewinner hervorbringt sondern auch Verlierer. Ein Teil der heutigen Geringverdiener wird seinen Job verlieren, weil ihre Arbeitsleistung zu dem h?heren Gehalt nicht mehr wirtschaftlich ist.

Die Welt: Wie viele Arbeitsplatzverluste erwarten Sie in Deutschland?

Neumark: Das kann ich nicht seri?s beantworten, weil ich die Daten für Deutschland nicht gut genug kenne. Eine Vielzahl von empirischen Studien belegt jedoch eindeutig, dass der Mindestlohn immer zu mehr Gewinnern als Verlierern führt. Aber es gibt Verlierer, zweifellos. Letztlich ist es eine simple ?konomische überlegung: Wenn man etwas teurer macht – in dem Fall also die Arbeitskraft –, wird die Nachfrage sinken.

Die Welt: Rechtfertigen die vielen Gewinner nicht die wenigen Verlierer?

Neumark: Wenn zum Beispiel 1000 Leute jeweils 25 Cent mehr verdienen und einer dafür seinen Job und eine Chance auf Besch?ftigung verliert, gibt es zwar 1000 Gewinner und einen Verlierer, aber ist es das wert? Letztlich müssen das die Politiker und die W?hler entscheiden. Als ?konom ist es meine Aufgabe, auf die empirische Beweislage hinzuweisen. Und die ist eindeutig.

Die Welt: US-Pr?sident Barack Obama will den landesweiten Mindestlohn in den USA von 7,25 Dollar auf 10,10 Dollar erh?hen – umgerechnet also von rund 5,25 Euro auf 7,32 Euro.

Neumark: Richtig. Er behauptet, dass ein h?herer Mindestlohn zu keinerlei Arbeitsplatzverlusten führen wird. Das klingt zwar gut, ist aber leider von diversen Studien fundamental widerlegt. Auf dieser Welt gibt es nichts umsonst. Das hei?t nicht, dass ein h?herer Mindestlohn grunds?tzlich falsch ist. Aber wir müssen akzeptieren, dass er Konsequenzen haben wird.

Die Welt: Eine Studie der parteiunabh?ngigen Haushaltsbeh?rde des Kongresses CBO besagt, der h?here Mindestlohn k?nnte in den USA 500.000 Jobs kosten. Gleichzeitig würden sich die Einkommen von 16,5 Millionen Arbeitnehmern verbessern. 900.000 Amerikaner k?nnten aus der Armut befreit werden. Plausibel?

Neumark: Die 16,5 Millionen Arbeitnehmer mit einem h?heren Gehalt sind eine simple Statistik. Hierbei handelt es sich schlicht um diejenigen Menschen, die heute weniger als 10,10 Dollar verdienen und daher von der Erh?hung profitieren würden. Die Zahl der verlorenen Arbeitspl?tze ist schon schwerer zu sch?tzen. Das CBO sagt auch, dass es je nach Szenario bis zu eine Million Jobs treffen k?nnte. Das halte ich für plausibler. Ich würde von 800.000 oder 900.000 Menschen ausgehen, die wegen des Mindestlohns arbeitslos werden. Wie das CBO auf die Armutszahlen kommt, ist mir vollkommen schleierhaft.

Die Welt: Warum?

Neumark: Pr?sident Obama sagt: Niemand, der Vollzeit arbeitet, sollte in Armut leben. Die Frage ist nun, ob wir mit dem Mindestlohn eigentlich die richtigen Leute erreichen? Meiner Meinung nach lautet die Antwort: nein. Es gibt Studien über Studien, die besagen, dass ein h?herer Mindestlohn die Zahl der Armen entweder gar nicht oder nur marginal senken würde. Es gibt genau genommen nur eine einzige Studie, die diesen Ergebnissen widerspricht.

Die Welt: Sie sprechen von der Studie von Professor Arindrajit Dube von der Universit?t Massachusetts, die gern von Mindestlohn-Befürwortern angeführt wird. Dube behauptet, in den Datens?tzen einer Ihrer Studie habe er ebenfalls den Beleg gefunden, dass ein zehnprozentiger Anstieg des Mindestlohns die Armut in der Gesellschaft um drei Prozent senken würde.

Neumark: Dube und ich sind schon lange in eine ?ffentliche Debatte zu dem Thema verwickelt. Seine Position ist leider sehr eindimensional: "Der Mindestlohn ist ein Heilsbringer. Alle Studien, die das Gegenteil beweisen, sind falsch." Dass er als einziger zu dem Ergebnis kommt, der Mindestlohn würde die Armut lindern, interessiert ihn nicht. Seine Aussage zu meiner Studie ist bewusst irreführend. Die zitierten Zahlen sind komplett aus dem Zusammenhang gerissen. In meiner von ihm zitierten Studie geht es überhaupt nicht um Armut, au?erdem haben wir nur die Altersgruppe der 21- bis 44-J?hrigen untersucht. Alle Untersuchungen, die sich auf die gesamte Bev?lkerung beziehen, konnten keinen Zusammenhang von Mindestlohn und Armutsrate feststellen.

Die Welt: Wieso ist das so? Es klingt doch eigentlich schlüssig, dass h?here L?hne zu weniger Armut bei Geringverdienern führen sollten.

Neumark: Wenn die überwiegende Zahl der Geringverdiener gleichzeitig Alleinverdiener in einem Haushalt w?ren, würde das auch zutreffen. In Wahrheit sind es aber auch eine Menge Ehefrauen, die sich in Teilzeit etwas dazu verdienen oder aber Teenager aus wohlhabenden Familien. Die sind aber nicht arm und würden trotzdem vom h?heren Mindestlohn profitieren. Es gibt Mitnahmeeffekte. Gleichzeitig muss man sich auf über die negativen Langzeitfolgen im Klaren sein. In amerikanischen St?dten gibt es viele Gettos, in denen Teenager nicht von ihrem Eltern gef?rdert werden und auch meist zu sehr schlechten Schulen gehen. Ein h?herer Mindestlohn wird vermutlich überproportional diese Teenager ohne Ausbildung und Referenzen treffen. Wenn sie aber in jungen Jahren keine Berufserfahrung sammeln k?nnen, werden sie sp?ter dann erst recht keinen Job finden, oder?

Die Welt: In Deutschland soll der geplante Mindestlohn nur für Menschen über 18 Jahre gelten. Halten Sie das also für sinnvoll?

Neumark: In den USA gibt es auch eine Tendenz dazu, Kinder und Jugendliche aus armen Verh?ltnissen gegenüber den Erwachsenen zu bevorzugen. Viele Amerikaner sind der Meinung, Armut sei meist selbst verschuldet. Kinder von armen Eltern k?nnen jedoch definitiv nichts für ihre Situation. Deswegen gibt es einen gesellschaftlichen Konsens, dass man ihnen helfen sollte. Soweit, so gut. Wer profitiert nun aber, wenn der Mindestlohn nicht für Minderj?hrige gilt? Das Gettokind? Ja, aber auch der Sohn aus reichem Haus, dem die Eltern das Studium ohnehin finanzieren und der zum Geburtstag einen BMW bekommt. Soll der wirklich bevorzugt werden gegenüber einer alleinerziehenden Mutter, die ?lter als 18 Jahre ist und kaum ihre Miete zahlen kann? Sie sehen, die Sache ist nicht so einfach. Die Ungleichheit in der Gesellschaft w?chst immer weiter, das gilt für Deutschland und noch mehr für die USA. Die meisten Industrienationen wollen etwas dagegen tun. Der Mindestlohn ist jedoch nicht das beste Mittel dafür.

Die Welt: Wenn die Ergebnisse der wissenschaftlichen Forschung so eindeutig sind, wieso sprechen sich Politiker wie Bundeskanzlerin Angela Merkel und Pr?sident Obama trotzdem dafür aus?

Neumark: Es gibt mehrere Gründe: Zun?chst einmal ist der Mindestlohn bei der Bev?lkerung sehr beliebt. Also bei der US-Bev?lkerung ist das so, aber ein Gro?teil der Bev?lkerung glaubt hierzulande ja auch nicht an die Evolutionstheorie...

Die Welt: In Deutschland ist die Evolutionstheorie wohl anerkannter. Der Mindestlohn wird von 84 Prozent der Deutschen unterstützt.

Neumark: Tja, das zeigt nur, dass der Durchschnittsbürger das Thema nicht versteht. Die denken nur: "Die L?hne gehen hoch. Den Armen wird geholfen, das ist eine gute Sache, die mich nichts kostet." Politiker k?nnen also mit dem Mindestlohn W?hlerstimmen einfangen und müssen gleichzeitig keine schwierigen Budgetverhandlungen deswegen führen. Daher ist der Mindestlohn sehr viel einfacher politisch umzusetzen als beispielsweise h?here Sozialhilfebudgets, die mit Steuererh?hungen gegenfinanziert werden müssen. Für den Mindestlohn zahlt natürlich auch jemand, das ist aber viel intransparenter und f?llt deswegen den wenigsten Leute auf. Schlie?lich sind es auch die Gewerkschaften, die den Mindestlohn sehr stark unterstützen. Sie betreiben damit aber klar Klientelpolitik. In den 90er-Jahren haben sich die US-Gewerkschaften auch gegen die Sozialreformen unter Pr?sident Bill Clinton gewehrt, die Arbeitslose dazu antreiben, in den Arbeitsmarkt zurückzukehren.

Die Welt: Wenn der Mindestlohn kein geeignetes Mittel zur Armutsbek?mpfung ist, was würden Sie stattdessen vorschlagen?

Neumark: In den USA haben wir schon seit den 70er-Jahren das Mittel der Lohnauffüllung, die sehr viel effektiver die richtigen Bev?lkerungsgruppen anspricht. Geringverdiener müssen bis zu einer gewissen Obergrenze keine Einkommensteuer zahlen. Stattdessen bekommen sie sogar noch Geld vom Staat. Der Staat ist umso gro?zügiger, je mehr Kinder der Haushalt hat. Eine Familie mit zwei Kindern und einem Jahreseinkommen von 13.430 Dollar bekommt 40 Prozent des Gehalts vom Staat dazugezahlt. Ein kinderloser Arbeitnehmer oder ein Zweitverdiener in einem Haushalt würde mit einem solchen Gehalt dagegen nichts bekommen. Die Lohnauffüllung schafft also Anreize, dass sich Arbeit auch bei geringem Einkommen lohnt. Gleichzeitig gibt es keine Mitnahmeeffekte bei reichen Kids oder Ehefrauen, die sich etwas dazu verdienen wollen. Weil es das Lohnniveau nicht erh?ht, gehen au?erdem keine Jobs verloren.

Die Welt: Wenn die Methode so erfolgreich ist, warum ist die Armutsrate in den USA trotzdem so hoch?

Neumark: Das Mittel ist sehr effektiv und ist aktuell in den USA das gr??te Programm zur Armutsbek?mpfung. Auf Bundesebene wird für die Lohnauffüllung rund 70 Milliarden Dollar pro Jahr ausgegeben – das ist doppelt so viel wie für die herk?mmliche Sozialhilfe. Trotzdem reicht ein solches Programm allein auf diesem Niveau nicht, die Armut abzuschaffen. Mit mehr Geld w?re das vielleicht m?glich, aber dafür gibt es keinen Willen in der Gesellschaft. Denn irgendwer muss das Geld ja auch mit seinen Steuern bezahlen.

Die Welt: Wer zahlt dagegen die Zusatzkosten des Mindestlohns? Führt ein h?herer Mindestlohn zu h?heren Konsumpreisen?

Neumark: Es wird einen Einmaleffekt in jenen Branchen geben, die viele Geringverdiener besch?ftigen: Restaurants, Friseursalons, Einzelhandel zum Beispiel. Ein Teil der zus?tzlichen Lohnkosten wird vermutlich an die Preise weitergegeben, der Rest vermindert den Gewinn in jenen Wirtschaftszeigen. Man muss sich fragen, ob diese Art der Umverteilung sinnvoll ist. Wieso sollte ein Restaurantbesitzer oder der Betreiber eines Friseursalons st?rker belastet werden, eine Investmentbank oder ein Technologiekonzern aber nicht?

Die Welt: Welche Auswirkungen hat der Mindestlohn auf das Wirtschaftswachstum?

Neumark: Gesamtwirtschaftlich sind die Effekte des Mindestlohns zu vernachl?ssigen. Geld- oder Steuerpolitik haben einen wesentlich gr??eren Einfluss auf Arbeitslosigkeit, Konsum und Preisniveau. Zumindest, wenn der Mindestlohn nicht auf ein v?llig unverh?ltnism??iges Niveau angehoben wird. Aber das ist ja weder in den USA noch in Deutschland geplant. Die Arbeitslosigkeit wird nicht massiv ansteigen, ebenso wenig die Inflation. Dafür ist die betroffene Gruppe der Geringverdiener einfach zu klein. Dementsprechend ist die manchmal verbreitete Meinung Quatsch, der Mindestlohn werde den Konsum deutlich ankurbeln. Jeder der behauptet, der Mindestlohn habe einen gro?en positiven oder negativen Effekt auf die Makro?konomie, versucht Stimmung zu machen. Es gibt keinerlei empirische Belege dafür.

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